Was macht ein:e Dramaturg:in?

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Ann-Marie Arioli im Portrait von Jaelle Maria Hurschler

Ann-Marie Arioli ist seit Oktober 2019 die leitende Dramaturgin des Theater Kanton Zürichs. «Fortune» ist nun eine ihrer letzten Produktionen in Zusammenarbeit mit dem in Winterthur beheimateten Ensemble. In einem Interview mit einer Theater-Visionärin des Theater Winterthur teilte sie einiges über ihren Beruf und das Stück «Fortune» mit.

Bevor Ann-Marie Arioli ins Theater Kanton Zürich kam, studierte sie in den 1990ern in Zürich und Wien Germanistik, Philosophie und Wirtschaftsgeschichte. Auch zu Winterthur hat sie schon länger eine Verbindung, hier studierte sie später Kulturmanagement.
Nach dem Studium hospitierte sie am Theater, bis sie Regieassistenz von Ruedi Häusermann wurde und so nach und nach in die Dramaturgie hineinrutschte. Zwischenzeitlich arbeitete sie als Regieassistentin, Regie-Mitarbeiterin und Dramaturgin bei verschiedenen Produktionen in der Schweiz, Deutschland und Österreich.

Der Beruf einer Dramaturgin hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Schiller war im achtzehnten Jahrhundert Dramaturg des Weimarer Hoftheaters. Er schrieb zwar Dramentexte, entwickelte aber auch programmatische Überlegungen über das Theater. Sein Ziel war es, das Theater zu reformieren. Schon für Schiller war es herausfordernd, dass der Zuständigkeitsbereich eines Dramaturgen wenig distinkt definiert war (Müller).
Heute ist dieser Tätigkeitsbereich noch ausgedehnter. 
Damals war es eine intellektuelle Funktion, welche ein:e Dramaturg:in bei einer Theaterproduktion inne hatte, wobei es stark um die Hintergründe und Arbeit am Text ging.
Mittlerweile kümmern sich Dramaturg:innen zusätzlich ums Erstellen von Werbetexten und Programmheften, und auch Marketing und Produktionsleitung haben einen grösseren Stellenwert im Berufsbild. Zudem hat es viel mit Ensemblezusammensetzung und -pflege zu tun.

Möchte man also als Dramaturg:in tätig werden, sollte man Freude am Text, beziehungsweise an der Kunstsprache haben, Freude am Geschichtenerzählen, Freude an der engen Zusammenarbeit mit Menschen und Freude an produktorientiertem Arbeiten. Auch ein diplomatisches Flair ist wichtig, da man als Dramaturg:in eine Schnittstellenfunktion hat: Man muss dem Zeitdruck standhalten können, denn Ann-Marie Arioli meinte in ihrem sympathischen Berner Dialekt: «Alles muss immer scho vorgeschter fertig sii». Wichtig ist, dass man auch wieder loslassen kann, denn obwohl man sich über eine lange Zeit, manchmal über Jahre mit einem Projekt; einem Stück auseinandersetzt, ist es irgendwann zu Ende und wird nicht erneut aufgeführt – Theater sei vergänglich. Zudem muss man offen bleiben für kurzfristige Veränderungen und die Ideen der anderen Mitarbeiter:innen. Ann-Marie Arioli sieht Theater als Teamwork. Das Projekt hänge nicht nur von den Ideen der Regie sondern auch von der Fantasie der Darsteller:innen und allen Teilhabenden ab. 
Während Vorstellungen kann es sein, dass die Schauspieler:innen ihren Text vergessen, oder dass eine Szene durcheinandergerät. Manchmal gäbe es eben Irritationen auf der Bühne, meinte Ann-Marie Arioli, doch dies störe sie nicht, denn eine Vorstellung sei wie ein lebendiger Organismus.
Ann-Marie Ariolis Tipp: am besten man hüpfe einfach in die Tätigkeit als Dramatrug:in rein, lerne «on the job» und finde so heraus, ob man Spass daran habe. Es gehe in dem Beruf weniger um die intellektuellen Konzepte, als darum, herauszufinden, wie Schauspieler:innen funktionieren. 

Dramaturg:innen verhandeln jeweils mit den Theater-Verlagen. Diese haben zu den verschiedenen Stücken bestimmte Auflagen. «Fortune» wurde 2020 von dem britischen Dramatiker Simon Stephens geschrieben. Dieses Stück hatte relativ wenige Auflagen im Gegensatz zu manchem amerikanischen Stück, bei denen man teils keine Figuren streichen darf oder Kleidervorschriften einhalten muss. Gewisse Grundsätze gäbe es natürlich immer – so blieben bei «Fortune» die Hauptcharakteren bestehen und nur Passant:innen und Tourist:innen wurden gestrichen. Die Premiere in Winterthur war die Schweizer Erstaufführung dieses Theaterstücks. Bei Uraufführungen sei es üblich, nicht mehr als 20 Prozent des Textes zu streichen, so kommt es, dass dieses Stück über zwei Stunden dauert.

Die Rollen der Hauptcharakteren werden hauptsächlich vom Ensemble des Kanton Zürichs übernommen. Martin Butzke und Simon Thomalla sind als Gastspieler:innen dabei. 

Das Stück orientiert sich am Fauststoff, welcher von einem Paktzwischen einem Alchemisten und dem Teufel handelt. Dieser solle ihm zu mehr Erfolg verhelfen. Simon Stephens erzählt diese Geschichte unter den Bedingungen des Kapitalismus, tut dies allerdings in der Gegenwart und in der Kreativwirtschaft: der Alchemist ist ein Filmregisseur. Die Gesellschaft, die im Bereich der Kreativwirtschaft tätig ist, hält man oft für kritischer dem System gegenüber. Viele denken, dass sie nicht so betroffen seien, wie zum Beispiel Wissenschaftler:innen oder Banker:innen. Stephens zeigt, dass auch diese Menschen unter Erfolgsdruck leiden und dieser sie so verwundbar macht, dass manche sogar einen Deal mit dem Teufel eingehen würden, um dem Druck standzuhalten. Ob dies funktioniert, findet man dann gegen Ende des Stücks heraus…

Die Zukunft in der Kreativwirtschaft in der Schweiz sei gar nicht so schlecht, wie man oft hört. Hier in der Schweiz kann man gut von Kultur leben im Vergleich zu anderen Ländern, in denen die Künstler:innen tagsüber einen anderen Job haben und erst am Abend proben können.

Wer sich für die Arbeit als Dramaturg:in interessiert, kann mittlerweile an der ZHdK einen Master in Dramaturgie absolvieren. Beim Studienbeschrieb wird nochmals betont, dass Dramatug:innen nicht mehr nur Expert:innen der Theatertexte und Berater:innen der Regie seien, sondern inzwischen auch als Kurator:innen in der künstlerischen Vermittlungsarbeit arbeiten und Diskurse und Kontexte als ästhetische Erfahrungen zugänglich machen. Das Studienprogramm wird zurzeit neuausgerichtet, deshalb kann man sich erst wieder für das Herbstsemester 2024 bewerben.
    
Wer weitere Produktionen, bei denen Ann-Marie Arioli mitwirkt, schauen möchte, sollte das Programm der Bühne Aarau anschauen, denn da wird sie ab 2024 als künstlerische Leiterin tätig sein.  

Jaelle Maria Hurschler

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